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Wie lange dauert der 1. April?

Am 1. April werden Geschichten erzählt und geschrieben, die es gar nicht gibt, die also reine Erfindungen sind. Der 1. April ist der erlaubte Tag für Lug und Trug. Und nach dem 1. April sind die Dinge, die man liest und erzählt bekommt, wieder richtig und wahr. Also ein Tag Lug und Trug und 364 Tage Wahrheit.

Aber ist es nicht eher so, dass uns auch an den übrigen 364 Tagen Fake News vorgesetzt werden? Wir merken es nur nicht, zumindest nicht sofort. Im Unterschied dazu erwarten wir geradezu, dass uns am 1. April Fake News aufgetischt werden. An diesem Tag haben wir Lust auf Lug und Trug, sind gespannt und suchen aufmerksam die Unwahrheit. Deshalb entdecken wir alle sie auch sofort. Zugegeben, nicht immer sofort und auch nicht immer alle. Denn viele 1. April Geschichten sind an der Grenze zwischen Wahrheit und Erfindung. Das ist die Gemeinsamkeit mit vielen „News“ an den anderen 364 Tagen.

Ziemlich offensichtlich ist der Trug bei „alternativen Fakten“. Der Ausdruck tarnt eine Geisteshaltung, bei der irreführende Behauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig gemacht werden sollen und als beliebtes Wahl- oder Abstimmungsinstrument dienen. Alt US-Präsident Trump ist ein Meister auf diesem Gebiet. Dabei sind „alternative Fakten“ schon im wörtlichen Sinn ein Widerspruch. Zu Fakten gibt es nun mal keine Alternative. „Alternative Fakten“ tönen ähnlich verlockend wie das Kinderlied von Pippi Langstrumpf: „Ich mach mir die Welt, wiedewiede wie sie mir gefällt.“

Fake News tragen die Falschheit sogar im Namen, sind aber zunehmend schwerer zu erkennen. Mittlerweile kann z.B. künstliche Intelligenz perfekte „Fake“-Fotos kreieren, die schon so manche Preise an Foto-Ausstellungen gewonnen haben. Der Kampf gegen Manipulation ist zusehends schwerer zu gewinnen. Die zunehmende Verbreitung von Fake News folgt verhaltensökonomischen Mustern. So wirken Informationen, die die eigene Meinung bekräftigen, glaubhafter als solche, die in Konflikt zu ihr stehen, auch wenn sie „gefakt“ sind. Denn kognitive Dissonanzen – Erkenntnisse, die sich widersprechen – bewirken in der Regel einen unangenehmen Spannungszustand, dem wir nur allzu gerne ausweichen.

Für Täuschungen sind aber nicht nur Technologie-Spezialisten verantwortlich. Was würden Sie beispielsweise von einem Programm der USA erwarten, welches den Namen „Inflation Reduction Act“ trägt? Wohl kaum ein riesiges Subventionspaket zur Förderung von erneuerbaren Energien und protektionistische Massnahmen. Grün vor Subventionsneid schusterte die EU ein Gesetz mit ähnlichem Inhalt mit dem verlockenden Namen „European Green Deal“. All diesen kreativen Staatsinterventionen ist gemeinsam, dass sie an die Moral appellieren, um sich im unermüdlichen Einsatz für sozial Benachteiligte oder zur Klimarettung unangreifbar zu machen.

Nicht unwahr, aber unglaubwürdig und widersprüchlich ist die Haltung derjenigen, die sich im leidenschaftlichen Kampf gegen die Klimakrise für Wärmepumpen, Solaranlagen, Windräder und E-Autos einsetzen und gleichzeitig für die Abschaltung von intakten Atomkraftwerken kämpfen, selbst wenn der Stromersatz aus Kohlekraftwerken bezogen werden muss. Nicht weniger glaubwürdig ist es, sich für einen höheren CO2 Preis einzusetzen und bei steigenden Benzinpreisen einen Tankrabatt zu fordern. Und ganz nebenbei: Wie empfinden Sie das Polittheater zur „too big to fail“ Debatte rund um das Credit-Suisse-Debakel? Aber wer will es den Politikerinnen und Politikern verübeln: Die Essenz der Politik ist die Macht, nicht die Sache! Und dafür muss man die Wahlen gewinnen.

Für die 364 1. Apriltage sind neben den Technologie-Spezialisten und Politikern noch viele andere verantwortlich, zum Beispiel wir selbst. Kennen Sie das? Mit absoluter Überzeugungskraft erklärt Ihnen jemand in einfachen Worten, wie der Hase läuft. Werden Sie dadurch in Ihrer Meinung bestärkt, gelangen Sie in den „ich bin gut“ Modus. Weil Ihnen aber höchstens die halbe Wahrheit erzählt wurde, befinden Sie sich im Zustand des Halbwissens, oder wie Dunning und Kruger[1] es nennen, sind Sie auf den „Mount Stupid“ aufgestiegen: Sie halten sich für kompetent, sind es aber nicht! Würden Sie sich mehr in die Thematik reinknien, würden Sie merken, dass sie doch nicht der wahre Experte sind. Das würde Sie aber verunsichern und wäre äusserst unbequem. Bequemer und mit weit weniger Opportunitätskosten verbunden ist es, sich als vermeintlich Wissender auf dem „Mount Stupid“ auszuruhen, stolz die Aussicht zu bewundern und unbewusst einen der 364 1. Apriltage zu geniessen.

Eine wichtige Frage stellt sich dennoch: Wie soll man sich in einer Welt verhalten, in der der 1. April 364 Tage dauert? Vielleicht so: Jeder entscheidet für sich selbst, was Unwahrheit und Wahrheit ist. Das einzig Wahre ist dann die selbst konstruierte Wirklichkeit. So wie die Wilhelm Tell-Geschichte: Reine Erfindung, aber sie tut uns Schweizern noch immer gut.

[1] Die beiden Sozialpsychologen hatten 1999 in Studien festgestellt, dass Unwissenheit oft zu mehr Selbstvertrauen führt als Wissen und dass unbewusstes Halbwissen häufig mit grosser Selbstüberschätzung einhergeht.

Peter Eisenhut studierte Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik an der Universität St.Gallen. Er war Hauptlehrer an der Kantonsschule Heerbrugg. Danach war er Mitglied der Geschäftsleitung des St.Galler Zentrums für Zukunftsforschung und anschliessend Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell. Zudem war er Lehrbeauftragter an der Universität St.Gallen und an der Executive School der Universität St.Gallen. Seit 2008 ist er geschäftsführender Partner der ecopol ag Peter Eisenhut ist Autor des Lehrbuches «Aktuelle Volkswirtschaftslehre».

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