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Anomalie am Arbeitsmarkt?

Der Arbeitsmarkt brummt, die Arbeitslosigkeit ist tief und der Arbeitskräftemangel ist auf hohem Niveau. Seit Jahren klagen Unternehmen über eine Knappheit an Arbeitskräften. Aus ökonomischer Sicht gibt es auf Knappheit eine einfache Antwort: Preiserhöhung. Übertragen auf den Arbeitsmarkt heisst das: Lohnerhöhung.

Aber die Löhne gehen nicht so stark in die Höhe, wie man es aufgrund der Mangelsituation erwarten würde. Die letzten Lohnrunden fielen für die Arbeitnehmenden eher ernüchternd aus. Je nach Inflationsprognose dürfte es 2024 kaum oder nur zu einer kleinen Reallohnsteigerungen kommen. Woran liegt das?

Der Arbeitsmarkt ist kein Markt mit perfektem Wettbewerb. Im Unterschied zu anderen Märkten ist das Angebot sehr heterogen. Jede Arbeitskraft ist ein Individuum mit spezifischen Eigenschaften, das nicht so leicht austauschbar ist. Die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern werden von Institutionen wie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und von Regulierungen beeinflusst. Daraus kann sich eine Marktmacht von Arbeitgebern und auch von Arbeitnehmenden ergeben. Als weitere Gründe für die schwache Reaktion der Löhne auf die Knappheit werden die Zuwanderung bzw. die Grenzgänger genannt. Untersuchungen zeigen zudem, dass aufgrund mangelnder Transparenz die Lohnerhöhungen durch Stellenwechsel systematisch unterschätzen werden.

Die Einschränkungen des Wettbewerbs am Arbeitsmarkt sorgen dafür, dass Arbeitskräfte nicht dort eingesetzt werden, wo sie am produktivsten sind. So kann beispielsweise ein erfolgreiches Startup sein Wachstumspotenzial nicht entfalten, wenn aufgrund von Friktionen die benötigten Arbeitskräfte beim «alten» Arbeitgeber bleiben. Ein funktionierender Wettbewerb führt dazu, dass Arbeitskräfte die Stellen wählen, bei denen sie produktiver sind. Zudem verbessern sich Löhne und Arbeitsbedingungen in jenen Unternehmen, in denen sie aus marktwirtschaftlicher Sicht zu niedrig sind.

Als Folge wechseln Beschäftigte in Jobs mit höheren Löhnen, besseren Arbeitsbedingungen und höherer Produktivität. Die Automatisierung gewisser Tätigkeiten wird beschleunigt. Für einzelne Unternehmen – vorwiegend Zombiefirmen – ist das bitter, scheiden sie doch aus dem Markt aus. Gesamtwirtschaftlich aber ist es vorteilhaft, zumal bei höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen auch mehr Menschen eine Stelle annehmen. Denn trotz Arbeitskräftemangel besteht ungenutztes Arbeitskräftepotenzial. in der Schweiz beläuft es sich gemäss Bundesamt für Statistik auf über 700’000 Personen.

Insgesamt bedeutet das: Aufgrund der demografisch bedingten Verknappung des Arbeitskräfteangebotes ist ein besser funktionierender Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt wichtig. Er führt bei Mangelsituationen zu steigenden Löhnen, zu einem produktiveren Einsatz der Arbeitskräfte und einer höheren Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials.

Peter Eisenhut studierte Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik an der Universität St.Gallen. Er war Hauptlehrer an der Kantonsschule Heerbrugg. Danach war er Mitglied der Geschäftsleitung des St.Galler Zentrums für Zukunftsforschung und anschliessend Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell. Zudem war er Lehrbeauftragter an der Universität St.Gallen und an der Executive School der Universität St.Gallen. Seit 2008 ist er geschäftsführender Partner der ecopol ag Peter Eisenhut ist Autor des Lehrbuches «Aktuelle Volkswirtschaftslehre».

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