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Stagflation in Sicht

Stagflation in Sicht

Die Inflation ist zurück, stagniert nun auch noch das Wachstum? Das Zusammentreffen der beiden Übel Inflation und Stagnation des BIP wird als Stagflation bezeichnet. Stagflation ist ein Dilemma für die Geldpolitik: Denn die Nationalbanken sollten einerseits die Zinsen erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen und andererseits die Zinsen tief halten, um der Wirtschaft nicht den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Die Stagflation in den 70er Jahren

Lange Zeit zweifelten die Ökonomen daran, dass diese beiden Übel überhaupt zusammen auftreten könnten. Eine stagnierende Wirtschaftsentwicklung reduziert üblicherweise die Nachfrage und sorgt für tiefe Inflationsraten. Hingegen steigt in Boomzeiten die Nachfrage und mit ihr steigen gleichzeitig die Preise. In den 1970er Jahren musste diese Lehrmeinung revidiert werden. Die erdölexportierenden Staaten verhängten damals aufgrund politischer Spannungen ein Embargo und drosselten ihre Fördermengen, wodurch sich der Weltmarktpreis vervielfachte. Dieser Angebotsschock verteuerte die Produktion, trieb dadurch die Preise in die Höhe und bremste gleichzeitig das Wachstum. Das Gespenst der Stagflation wurde plötzlich für jedermann sicht- und erlebbar.

Wiederholt sich die Geschichte?

Rund 50 Jahre später könnte die Stagflation wieder ihre hässliche Fratze zeigen. Stehen wir erneut vor einer Periode mit schwachem Wachstum und hoher Inflation? Damals war das Erdölembargo der externe Schock, heute sind es der Ukrainekrieg und die Pandemie. Damals wie heute stieg im Vorfeld der Stagflation die Verschuldung stark an. Der Druck der Regierungen, die Zinsen tief zu halten, war und ist auch heute wieder hoch. Bereits in den 70er Jahren ging dem Anstieg der Preise ein Jahrzehnt mit sehr expansiver Geldpolitik voraus. Und auch damals war der Inflationsanstieg ein Mix verschiedener Ursachen. Aktuell bereiten neben den steigenden Erdölpreisen, die Knappheit diverser anderer Rohstoffe, die gestörten Lieferketten und ein grosser Mangel an Fachkräften Sorgen an der Preisfront.

Auch für das zweite Merkmal einer Stagflation, ein künftig schwächeres Wachstum oder gar eine Rezession, gibt es mehrere Anhaltspunkte. Dazu gehören neben dem bereits erwähnten Ukrainekrieg und dem Anstieg der Verschuldung, die zunehmenden De-Globalisierungstendenzen, das Streben nach einem höheren Selbstversorgungsgrad und die Förderung der Energieunabhängigkeit sowie die Energiewende.

Die Lohn-Preis-Spirale

Aber selbstverständlich gibt es auch Unterschiede zwischen den 70er Jahren und der aktuellen Lage. So stiegen die Energiepreise damals kräftiger an und die Energieintensität ist heute wesentlich geringer. Zudem dürfte heute auch die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale kleiner sein, sind doch die Löhne vielerorts nicht mehr automatisch an die Teuerungsentwicklung gebunden. Aber aus der Sicht der Gewerkschaften führt die Rückkehr der Inflation nach mehr als zehn Jahren zu einer neuen Ausgangslage. Das probate Mittel gegen Inflation sind aus ihrer Sicht generelle Lohnerhöhungen, welche den Teuerungsausgleich übersteigen und so die Nachfrage stützen sollen. So nachvollziehbar diese Forderungen auch sind, sie erhöhen das Risiko, dass die Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt und die Inflation vom vorübergehenden zum dauerhaften Problem wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Erhöhung der Lohnsumme nicht auf einem entsprechenden Anstieg der Wertschöpfung basiert. Wenn der Kuchen nicht wächst, gehen grössere Kuchenstücke auf Kosten von anderen Anspruchsgruppen.

Was die Geldpolitik zu tun hat

Trotz dieser Unterschiede hätte die Geldpolitik einiges aus den Erfahrungen mit der Stagflation lernen können. Was also wäre zu tun? Die Notenbanken hätten eigentlich erkennen sollen, dass die Geldpolitik vorausschauend handeln muss, und dass die geldpolitischen Schrauben frühzeitig anzuziehen sind. Bereits zu lange setzen sie auf die Hoffnung, dass der Preisanstieg nur ein temporäres Phänomen sei, das von selbst wieder verschwinden werde. Es ist anzuerkennen und zu akzeptieren, dass ein Kampf gegen die Inflation nicht kostenlos zu gewinnen ist. Um die Inflation in den Griff zu bekommen, wird auch die Europäische Zentralbank (EZB) steigende Zinsen und eine Abschwächung des BIP-Wachstums in Kauf nehmen müssen – mit allen damit verbundenen, unerwünschten Nebenwirkungen. Damit wird die EZB hoffentlich den Boden für das Ende der Negativzinsen in der Schweiz ebnen.

 

Die folgende Abbildung zeigt das typische Bild einer Stagflation: Steigende Inflationsraten und sinkende Wachstumsraten.

Abbildung: Stagflation in Sicht

Orange Punkte: BIP-Wachstum im 2.Quartal 2021 und Inflation im März 2021

Blaue Punkte: BIP-Wachstum im 1.Quartal 2022 und Inflation im März 2022


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Peter Eisenhut studierte Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik an der Universität St.Gallen. Er war Hauptlehrer an der Kantonsschule Heerbrugg. Danach war er Mitglied der Geschäftsleitung des St.Galler Zentrums für Zukunftsforschung und anschliessend Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell. Zudem war er Lehrbeauftragter an der Universität St.Gallen und an der Executive School der Universität St.Gallen. Seit 2008 ist er geschäftsführender Partner der ecopol ag Peter Eisenhut ist Autor des Lehrbuches «Aktuelle Volkswirtschaftslehre».

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