logo

Spurwechsel De-Globalisierung

Nach dem Fall der Berliner Mauer (1989) und dem Zusammenbruch der Sowjetunion (1991) beschleunigte sich die Globalisierung mit zunehmendem Tempo. Globale Verlagerungen der Produktionsprozesse, weltumspannende Lieferketten und neue Technologien führten zu einer Integration von Märkten und Staaten im noch nie dagewesenen Ausmass. Seit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO, 2001) haben alle Grossmächte eine stärkere wirtschaftliche, finanzielle und technologische Integration als Ziel verfolgt. So hat die Globalisierung huderte Millionen von Menschen aus der Armut befreit, zu Produktivitätsgewinnen geführt, die Mobilität von Menschen sowie die Verbreitung von Technologien erleichtert und ein grosses wirtschaftliches Wachstum ermöglicht. Begleitet wurde der gegenseitig wachsende Wohlstand durch die Hoffnungen auf Frieden, Stabilität und Rechtsstaatlichkeit. Klingt alles zu schön, um wahr zu sein? Es ist zu schön, um wahr zu sein!

Trend zur Globalisierung gebremst …

2008 wurde das Vertrauen in die Globalisierung durch die globale Finanzmarktkrise auf die Probe gestellt. Die negativen Seiten der gegenseitigen Abhängigkeiten kamen zum Vorschein. Den Turbulenzen an den Finanzmärkten folgen weitere internationale Verwerfungen wie die Euro-Schuldenkrise, die Krim-Annexion, der Trumpsche Protektionismus und sein Handelskrieg mit China, der Brexit und die Corona-Pandemie. Covid-19 und der unerwartet starke Aufschwung 2021 haben die Verletzlichkeit von globalen Lieferketten aufgezeigt. Lieferengpässe bei Rohstoffen, Halbleitern, Mikrochips, Arzneimittel und sogar Konsumgütern sowie Transportprobleme belasten seither die Weltkonjunktur. Eine stark ansteigende Nachfrage traf auf ein unelastisches Angebot mit der Folge von kräftig steigenden Preisen.

Dass der Wechsel auf die Spur der De-Globalisierung seit 2008 im Gange ist, zeigt sich statistisch sowohl in einem Rückgang der globalen Kapitalströme als auch im nachlassenden Wachstum des Handels mit Gütern und Dienstleistungen. In der politischen Realität offenbart sich die Wende beispielsweise in Frankreich, das in strategisch definierten Sektoren die Abhängigkeit vom Ausland durch Relokalisierungsprojekte bei Teigwaren, Mikrochips, Maschinen oder Medikamenten reduzieren will. Auch in der EU hat die Industriepolitik viel Rückenwind. So will die EU-Kommission in Zukunft mit rund 13 Milliarden Euro die Produktion von modernsten Halbleitern fördern und steigt in einen Subventionswettlauf mit China, den USA und Japan ein. China setzt mittelfristig stark auf Selbstversorgung und Autarkie und erhöht den Druck auf ausländische Unternehmen, ihre Geschäftstätigkeit zunehmen zu lokalisieren. Protektionistisches Gebahren ist dabei vor allem in der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländern (G20) zu beobachten, die eigentlich den Freihandel fördern sollten.

…. gestoppt und umgedreht

Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine setzte Europa darauf, günstige Energie aus Russland zu beziehen, um den eigenen Wohlstand zu erhöhen. Über Jahrzehnte wurde zugelassen, immer stärker auf Putins Erdgas angewiesen zu sein. Der Ukrainekrieg hat nun nicht nur zu einem Stopp der Globalisierung geführt, sondern hat und wird sie umdrehen. Die Hoffnung vom „Wandel durch Handel“ entpuppt sich als Märchen: nichts mit weltweiter Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Demokratie. Das romantische Freihandelsideal des David Ricardo wird durch eine Politisierung des Handels ersetzt. Das Geschäftsmodell der globalen Lieferketten scheint ausgedient zu haben: Offshoring kehrt sich um, gefragt ist nun Onshoring. Sicherheit ist wichtiger als Wohlstand.

Aktuell in den Fokus gerückte Fragen sind: Wie können steigende Benzinpreise verhindert werden? Wie kann die Energie-Abhängigkeit reduziert werden? Wie können globale Lieferketten regionalisiert werden? Wie kann der Zugriff auf lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen sichergestellt werden? Wie stark muss das Militärbudget aufgestockt werden?

Das Nachdenken über Alternativen zum Russland-Gas und Erdöl lässt die Diskussionen um Atomkraftwerke als „heimische“ Energiequelle wieder aufleben. Viele Länder – auch die Schweiz – träumen davon, im Energiebereich autark zu werden. Zudem soll dafür gesorgt werden, dass wir uns selbst mit Nahrungsmitteln versorgen können. Kaum Platz in diesen Plänen hat die Tatsache, dass viele Vorprodukte wie Lithium, Uran, Saatgut oder Düngemittel aus dem Ausland importiert werden. Es macht den Anschein, als ob grössere Autarkie und mehr Sicherheit gratis zu haben wären, als ob es also keine Opportunitätskosten gäbe. Sollten beispielsweise steigende Benzinpreise den Wohlstand gefährden, kann man ja die Benzinpreise von Staates wegen „deckeln“ oder die gebeutelten Autofahrer mit einem „Tankrabatt“ subventionieren. Man will offenbar nicht zu Kenntnis nehmen, dass steigende Energiepreise nicht aus der Welt geschafft, sondern nur umverteilt werden können – jemand bezahlt immer.

Was kommt nun?

Die Finanzkrise und Covid-19 haben uns Schwachstellen der Globalisierung vor Augen geführt und diesen Trend gestoppt oder zumindest gebremst. Aber sie war nur ein Vorspiel: Der Angriff auf die Ukraine führt nun zum Spurwechsel hin zur De-Globalisierung. Wir stecken in einer neuen Ära, die von zunehmender Unsicherheit und schrumpfenden Vertrauen in die politischen und wirtschaftlichen Systeme geprägt ist. Grundlegende Veränderungen in der Weltordnung und der Weltwirtschaft stehen deshalb an. Das Denken in Machtblöcken, Abschreckungstheorien und Systemwettbewerb kehrt zurück. Die unipolare Welt ist abgesagt und wird durch eine bipolare (Autokratien gegen Demokratien) oder eine tripolare Handelsblockbildung (USA, EU, Asien) abgelöst. Ob mit einer so oder ähnlich gearteten neuen Weltordnung mehr Sicherheit verbunden ist, steht noch in den Sternen. Jedenfalls ist damit die grosse Gefahr von Wohlstandsverlusten für alle Länder verbunden. Ein Zurück zur bisherigen Globalisierung wird es für viele, viele Jahre nicht mehr geben.

Peter Eisenhut studierte Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik an der Universität St.Gallen. Er war Hauptlehrer an der Kantonsschule Heerbrugg. Danach war er Mitglied der Geschäftsleitung des St.Galler Zentrums für Zukunftsforschung und anschliessend Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell. Zudem war er Lehrbeauftragter an der Universität St.Gallen und an der Executive School der Universität St.Gallen. Seit 2008 ist er geschäftsführender Partner der ecopol ag Peter Eisenhut ist Autor des Lehrbuches «Aktuelle Volkswirtschaftslehre».
  1. netSprite

    Interessanter Artikel mit spannenden Überlegungen zum aktuellen Weltgeschehen. Herzlichen Dank dafür!

Kommentar schreiben