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Dynamisch, personalisiert und progressiv

Stört es Sie, wenn Sie je nach Tageszeit einen anderen Strompreis bezahlen? Stört es Sie, wenn Sie für an einem Wochenende mehr für ein Hotelzimmer bezahlen als während der Woche? Stört es Sie, wenn für eine Ski-Tageskarte bei schönem Wetter mehr bezahlen als bei Schneefall? Stört es Sie, dass Ihr Sitznachbar im Flugzeug nicht denselben Preis bezahlt hat wie Sie? Stört es Sie, wenn Sie bei einem Onlineeinkauf mit Ihrem neuesten Apple-Handy mehr bezahlen als Ihr Kollege mit seinem „uralten“ Laptop?

In der ökonomischen Grundausbildung lernt man doch, dass sich beim Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage für ein bestimmtes Produkt ein für alle gleicher Preis bildet – egal für wen, wo und wann. Die Praxis hat diese Theorie schon längst überholt. Neue Technologien und die steigende Datenverfügbarkeit haben bzw. werden dem „Gleichen“ den Garaus machen.

Schon lange hat die dynamische Preisbildung Fuss gefasst. So können sich die Preise in Abhängigkeit vom Wochentag, der Uhrzeit, der gekauften Menge, des Verkaufsortes oder des Wetters sehr schnell ändern. Daran haben wir uns schon (beinahe) gewöhnt. Insbesondere im Onlinehandel ändern sich die Preise laufend. Laut einer Studie soll Amazon die Preise seiner Produkte an einem einzigen Tag 2.5 Millionen Mal anpassen. Möglich machen dies Algorithmen, welche die Tageszeit, die Seitenaufrufe, den Lagerbestand, die Konkurrenzpreise usw. in der Preisbildung berücksichtigen.

Personalisierte Preise gehen einen Schritt weiter: Aufgrund persönlicher Merkmale unterscheiden sich die Preise von Kunde zu Kunde, am selben Ort zum selben Zeitpunkt. Die persönlichen Merkmale basieren auf gesammelten Daten, beispielsweise zum Surfverhalten, über Posts auf Social Media, Kundenkarten und weiterer Datenquellen über Einkommen, Kreditwürdigkeit, Familienstatus, Hobbys usw. Die Käufer werden immer durchsichtiger. Wer kennt Sie besser als Ihr Partner, Ihre Partnerin? Google! Vielleicht kennt Google Sie sogar besser als Sie sich selbst.

Eine besondere Form von personalisierten Preisen sind progressive Preise. Ausgeklügelte Algorithmen und künstliche Intelligenz ermöglichen es, die Zahlungsbereitschaft bzw. den Wert eines Gutes für jeden einzelnen Kunden in Echtzeit zu messen, anzupassen und in Rechnung zu stellen. Im Ergebnis zahlt jeder genau den Preis, den er für das Produkt zu zahlen bereit ist.[1]

Ärgert es Sie, wenn Sie als „Reicher“ mehr für dasselbe Gut bezahlen als Ihr „armer“ Nachbar? Preisdifferenzierung zwischen unterschiedlichen Personen stösst in der Regel auf Unverständnis und wird von der Mehrheit als unfair empfunden. So erstaunt es denn auch nicht, dass die Volkinitiative für faire Preise im Parlament von links bis rechts Zuspruch erhält. Sie will verhindern, dass ausländische Anbieter von Schweizer Firmen nur wegen der grösseren Kaufkraft einen höheren Preis verlangen. Im Visier steht die Hochpreisinsel Schweiz. „Schweizer Löhne, aber ausländische Preise“ ist durchaus ein nachvollziehbarer Wunsch.

Die Akzeptanz von personalisierten Preisen und damit das Vertrauen zum Anbieter leidet insbesondere dann, wenn der Kunde die Preissetzungsregel als intransparent und nicht nachvollziehbar empfindet. Das ist vermutlich der Hauptgrund dafür, dass gemäss verschiedener Studien personalisierte und progressive Preise bisher relativ selten zur Anwendung kommen. Der Verdacht des Abzockens kann sich negativ auf den Umsatz auswirken. Das Reputationsrisiko ist gross.

Es ist allerdings schwer einzuschätzen, welche Verkäufer die Preise ihrer Angebote schon heute personalisieren. Offensichtlich ist hingegen, dass individualisierte Werbung sich sehr stark und schnell verbreitet hat. Die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden ist jedenfalls einem grundlegenden Wandel ausgesetzt, so dass die Messung des Wertes eines Gutes für den Kunden und damit seiner Zahlungsbereitschaft schon bald zur Kernkompetenz von Unternehmen gehören wird.

Welche Wirkung hat Preisdifferenzierung auf die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt? Im Vergleich zum Einheitspreis bezahlen alle Konsumenten mehr, deren Zahlungsbereitschaft über diesem Preis liegt. Gleichzeitig werden auch die Konsumenten bedient, deren Wertvorstellungen unter dem Einheitspreis liegen. Dank tieferen Preisen kommen also auch Personen in den Genuss von Gütern, welche sonst vom Konsum ausgeschlossen würden. In der Theorie steigt deshalb die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt.[2] In der Realität kann die Preisdifferenzierung allerdings nie vollständig umgesetzt werden. Der wohlfahrtsökonomische Nutzen ist deshalb schwer abzuschätzen. Es bleibt umstritten, ob die Profitabilität der Unternehmen und die durchschnittlichen Preise insgesamt sinken oder steigen, ob die einkommensschwachen Kunden genügend interessant sind oder vom Markt ausgeschlossen werden, ob in der Summe alle Konsumenten schlechter oder bessergestellt werden und welche Umverteilungseffekte entstehen. Zusätzliche Probleme ergeben sich aufgrund von Preisabsprachen, der Marktmacht von Tech-Giganten und des Datenschutzes.

Alles in allem steigt die Gefahr, dass die neuen technischen Möglichkeiten den Marktprozess in eine Blackbox verwandeln. Unterstützen ausgeklügelten Algorithmen uns tatsächlich dabei, die „beste“ Entscheidung zu fällen?

 

[1] vgl. Progressive Preise (bcg)

 

[2] Wohlstandseffekte: vgl. Preisdifferenzierung (iconomix.ch) und Dossier (abida.de)

Peter Eisenhut studierte Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik an der Universität St.Gallen. Er war Hauptlehrer an der Kantonsschule Heerbrugg. Danach war er Mitglied der Geschäftsleitung des St.Galler Zentrums für Zukunftsforschung und anschliessend Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell. Zudem war er Lehrbeauftragter an der Universität St.Gallen und an der Executive School der Universität St.Gallen. Seit 2008 ist er geschäftsführender Partner der ecopol ag Peter Eisenhut ist Autor des Lehrbuches «Aktuelle Volkswirtschaftslehre».

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