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Dolce Vita?

Verfolgt man die Schlagzeilen in den letzten Wochen zum Thema Teilzeitarbeit, scheint sich ein neues Feindbild entwickelt zu haben: Teilzeit wird als Symbol für einen schwindenden Arbeitsethos, einer Faulzeit-Gesellschaft und als Ausdruck eines Dolce Vita interpretiert.

Der Trend zur Teilzeitarbeit

Im Jahr 2022 arbeiteten 37% Teilzeit, ein Anstieg um knapp 8 Prozentpunkten gegenüber 2000. Der Anteil der teilzeitbeschäftigten Frauen stieg im selben Zeitraum um rund 5 Prozentunkte auf 58%. Bei Männern verdoppelte sich der Anteil der Teilzeitbeschäftigten beinahe und liegt nun bei 19%. Das bedeutet, dass aktuell jeder fünfte Mann und mehr als jede zweite Frau in Teilzeit arbeitet. 1880 betrug die reguläre Wochenarbeitszeit noch 63 Stunden. Heute liegt die vertragliche Arbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigten bei 41.8 Stunden. Wird die Teilzeitarbeit berücksichtigt, beträgt die durchschnittliche Arbeitszeit eines Schweizer Arbeitnehmenden noch 31 Stunden.

Teilzeitarbeit und Lebensqualität

Die Statistiken bestätigen somit den Trend zur Teilzeit und sinkenden Arbeitsstunden. Wie ist er zu erklären? Primär ist weniger zu arbeiten ein Zeichen wachsenden Wohlstandes, welcher der deutlich gestiegenen Arbeitsproduktivität zu verdanken ist. Das Wirtschaftswachstum und die damit steigenden Einkommen können entweder in der Form von kürzeren Arbeitszeiten oder höheren Löhnen an die Beschäftigten weitergegeben werden. „Weniger arbeiten anstatt mehr verdienen“ entspricht den Präferenzen einer wachsenden Zahl der Beschäftigten. Und das ist ihr gutes Recht. Die Freiheit der Wahl der Arbeitsstunden gehört zum Kern einer liberalen Gesellschaft. Der Trend zur Teilzeitarbeit bedeutet, dass die Prioritäten im Leben anders gesetzt werden, mit dem Ziel die Lebensqualität zu steigern. Wachstum ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck, nämlich zur Verbesserung der Lebensqualität.

Der berühmte Ökonom John Maynard Keynes prognostizierte im Jahr 1930, dass bis zum Jahr 2030 die Wochenarbeitszeit auf nur noch 15 Stunden sinken würde. Er argumentierte, dass aufgrund steigender Produktivität die Menschen von den „drückenden wirtschaftlichen Sorgen erlöst sein“ würden. Eine 15-Stunden-Woche sollte ausreichend sein, um die Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Bei seiner Prognose unterschätzte Keynes den Wert höherer Einkommen, die ungleiche Verteilung und das Potenzial von immer neuen Produkten, die auch neue Bedürfnisse wecken. So lag Keynes mit seiner Prognose wohl auch für die reichsten Volkswirtschaften falsch.

Teilzeitarbeit und gesamtwirtschaftlicher Wohlstand

Schadet der Trend zur Teilzeitarbeit dem Wachstum des Wohlstandes? Nicht, wenn dadurch das Arbeitsangebot erhöht wird. Je mehr Menschen einer Erwerbstätigkeit nachgehen, beispielsweise indem sie von Null auf 40% Teilzeit erhöhen, desto grösser wird das Arbeitsangebot, auch wenn dies zu einem Rückgang der durchschnittlichen Arbeitsstunden pro Person führt. Dieser Rückgang ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass immer mehr Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Erwerbsquote der Schweizer Frauen ist seit dem Jahr 2000 von 73% auf 81.5% angestiegen. In Familienhaushalten ist die Erwerbs- und Hausarbeit nicht kleiner geworden, aber die Aufteilung hat sich verändert.

Die rückläufige Vollzeitbeschäftigung kann bisher nicht für die aktuelle Personalknappheit verantwortlich gemacht werden. Im Angesicht der demografischen Entwicklung sind allerdings Ideen gefragt, welche die Ausschöpfung des vorhandenen Erwerbspotenzials stimulieren. Zudem bleibt es eine Tatsache, dass Arbeitszeitverkürzungen ohne Wohlstandseinbusse nur möglich sind, wenn sie mit einem Produktivitätswachstum einhergehen.

 

 

Die Rahmenbedingungen und ihre Anreize

Es spricht also nichts gegen mehr Teilzeitarbeit, solange dies freiwillig ist und auf die eigene Rechnung geht. Das ist nicht der Fall, wenn das Steuer – und Transfersystem Anreize zu weniger Arbeit schafft. So ist der Anreiz zu Teilzeitarbeit umso stärker, je progressiver die Steuersätze sind, je mehr dadurch von tieferen Krankenkassenprämien, Kinderkrippentarifen oder weiteren Vorteilen profitiert werden kann. Störend ist es, wenn Hochschulabsolventen, deren Ausbildung mit öffentlichen Geldern finanziert werden, in Teilzeit arbeiten und gleich viel verdienen wie andere in einer Vollzeitstelle.

Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass manche Personen auch unfreiwillig Teilzeit arbeiten, also unterbeschäftigt sind. Diese Arbeitnehmenden würden gerne mehr arbeiten, aber es fehlen die dafür als notwendig erachteten Rahmenbedingungen und es gibt Hindernisse wie mangelnde Verfügbarkeit oder bezahlbare Kinderbetreuungsplätze sowie Hürden im Steuersystem.

Folgende Fragen gilt es deshalb zu klären: Wie beeinflussen die aktuellen Steuer- und Transfersysteme den Trend zur Teilzeitarbeit? Wie können die Rahmenbedingungen für Unterbeschäftigte verbessert werden? Sollten sich Studierende stärker an ihren Ausbildungskosen beteiligen? Wie kann das Pensionskassensystem besser auf Teilzeitbeschäftigte angepasst werden?

Peter Eisenhut studierte Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik an der Universität St.Gallen. Er war Hauptlehrer an der Kantonsschule Heerbrugg. Danach war er Mitglied der Geschäftsleitung des St.Galler Zentrums für Zukunftsforschung und anschliessend Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell. Zudem war er Lehrbeauftragter an der Universität St.Gallen und an der Executive School der Universität St.Gallen. Seit 2008 ist er geschäftsführender Partner der ecopol ag Peter Eisenhut ist Autor des Lehrbuches «Aktuelle Volkswirtschaftslehre».

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